Tiroler auf de Canol
by Johnny Vigl, Juli 1993

JULI 1993

FÜR MEINE FREUNDE ZUR ERINNERUNG

VORWORT

Seit meinem ersten Aufenthalt in Kanada war es mein Wunsch, die kanadische Wildnis näher kennenzulernen. Noch dazu kam ich zur Erkenntnis, daß ein Mensch mit einem bewegungsarmen Berufsleben im Urlaub Bewegung braucht. Was also lag näher als ein Aktiv- urlaub in der kanadischen Wildnis?

Nach Absprache mit Peter besorgte ich mir Informationen über die Nordwest-Territorien. Vom Kanadischen Fremdenverkehrsamt erhielt ich eine Karte und eine Broschüre über die wichtigsten touristi- schen Attraktionen. Bereits beim ersten flüchtigen Ansehen der Karte fiel mir der Canol Heritage Trail auf, weil es der einzige eingezeichnete Fußweg ist, der in der Nähe der Rocky Mountains liegt. Damit war das Interesse schon geweckt, und ich besorgte mir weitere Informationen.

Gleichzeitig ließ Peter in seiner Umgebung ein paar Bemerkungen über "Wildnis pur" fallen, und schon meldeten sich Abenteuer- lustige aus Imst und Umgebung, die unbedingt mitmachen wollten. Schließlich kristallisierte sich eine Sechsergruppe heraus.

Werner SENN
Werner UNSINN
Willi SCHATZ
Walter KÖLL
Peter NOTHDURFTER
(und natürlich ich selbst, Johnny VIGL)

Die Vorbereitungsarbeiten umfaßten neben dem Einholen von Informationen über Gegend, klimatische Verhältnisse, Trail- beschreibung usw. auch die Erstellung einer Ausrüstungsliste und eines Verpflegungskonzeptes. Mehrere Besprechungen waren not- wendig, bis jeder über alles Wichtige informiert war.

Natürlich blieb dies alles in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt, und die Lokalpresse interessierte sich sehr für unsere Pläne. Dies ging so weit, daß man uns bei der Zeltprobe einen Streich in Form eines vorgetäuschten Bärenüberfalls spielen wollte. Weil aber auch wir das Ohrwaschl am Puls der Zeit haben, wurde für die Zeltprobe einfach offiziell ein anderer Zeitpunkt vereinbart, als der, an dem wir uns dann tatsächlich getroffen haben. Zum Trost habe ich mich dann von den genarrten Zeitungen per Fax verab- schiedet.

TAGEBUCH

Sonntag, 11. Juli 1993

Um 5.00 Uhr am Morgen ist Abfahrt von Imst nach Innsbruck. Ich komme gerade rechtzeitig vom Spielen im Hotel Post. Waltraud bringt uns mit einem Eisenrigler-Probefahrt-Bus zum Flughafen. Mit der Tyrolean fliegen wir nach Amsterdam. Dort haben wir einige Stunden Aufenthalt, die wir zu einem Stadtbummel nutzen. Am Bahnhof trifft Peter den Imster Anwalt Dr. Andi Fink. Wir nehmen an, daß am nächsten Tag ganz Imst wissen wird, wo wir uns herumgetrieben haben (Rotlichtviertel und so...). Nach der Rückkehr haben wir erfahren, daß es auch tatsächlich so war.

Am Nachmittag ist Abflug nach Toronto, wo wir die Einwanderungs- Zeremonie durchmachen müssen. Wie in Kanada üblich, geht diese Prozedur genau nach Vorschrift, aber freundlich über die Bühne. Der Weiterflug nach Edmonton hinterläßt keine bleibenden Ein- drücke mehr, wir sind einfach zu müde. Trotzdem gehen wir nach dem Einchecken im Hotel noch auf ein Bier zum benachbarten Chinesen, wo trotz meiner beeindruckenden Karaoke-Darbietungen Doc Werner friedlich entschlummert. Unseren Scherz mit dem Bezahlen der gesamten Rechnung hat er in seinem Dämmerzustand nach dem Wecken durch den Ober nicht ganz mitgekriegt.

Montag, 12. Juli 1993

Mit der Canadian-North fliegen wir über Yellowknife nach Norman Wells. Aber kurz vor dem Aufsetzen gibt der Pilot wieder vollen Schub und startet durch. Der Grund: Durch einen der zahlreichen Waldbrände in der Umgebung ist die Landebahn in Rauch gehüllt und unsichtbar. So kommen wir zu einem Gratisabstecher nach Inuvik, etwa 500 km nördlich. Beim Anflug haben wir einen schönen Blick auf den Unterlauf des Mackenzie-River, der etwas weiter nördlich ins Eismeer mündet. Nach einer Stunde Aufenthalt geht es wieder zurück, und diesmal klappt die Landung.

Das Norman-Wells-Taxi bringt uns zum Camping By The River Near The Docks. Die alte Klapperkiste wird von einem Sportsfreund chauffiert, dem es nichts ausmacht, mit 100 km/h über die Schot- terstraße zu fegen. Nach dem Aufstellen der Zelte und kurzem Ausspannen geht es gleich zum Großeinkauf in den Northern Store. Der Liquor Store hat leider geschlossen. Also leider kein Bier für heute. Die Koch- und Feuerstelle wird hergerichtet, und bald gibt es eine gute österreichische Suppe. Während ich die Spaghetti fertig mache, schlafen Walter und Werner S. bereits. Der Flug war doch ziemlich anstrengend. Der Norden begrüßt uns mit typischem Nordwetter - mäßige, aber regelmäßige Regengüsse.

Dienstag, 13. Juli 1993

Willi geht mit mir schon am Morgen zum Organisieren. Die Fischer- lizenz bekommen wir ganz einfach und unproblematisch im Gemischt- warengeschäft. Sie kostet für ein Jahr 42 Can.$ plus Steuer (5%). Bei der RCMP stellt sich Willi als Kollege vor, und wir erklären, was wir vorhaben. Die Mounties sind sehr korrekt und freundlich, und wir wissen, daß von Zeit zu Zeit aus der Luft nach dem Rechten gesehen wird. Dann bestellen wir bei der Northwright-Air den Flug zu den Godlin Lakes, wo wir unseren Marsch starten wollen. Dieser flight kostet uns 1.359 Can.$.

Als wir zum Lager zurückkommen, herrscht helle Aufregung. Werner S. hat ein schmerzendes und angeschwollenes Bein. Dr. Werner tippt auf Thrombose. Gehen ist für den Patienten unmöglich, wir müssen ihn stützen oder tragen. Doc Werner und ich ziehen los, um die medizinische Versorgung in die Wege zu leiten. Die Telefoniererei mit der Eurocard-Versicherung ist sehr kompliziert, denn in Europa ist Mitternacht. Aber dank der Hilfsbereitschaft aller, an die wir uns wenden, kommen wir langsam weiter. Kurz vor 4.00 am Nachmittag kommt die Dame vom Northern-Büro mit ihrem Privatauto und will Werner sofort zum Flughafen bringen, weil die Versicherung ihr O.K. zum Flug nach Edmonton gegeben hat. Sie beeilen sich, so gut es geht, aber die Maschine ist nicht mehr erreichbar und startet vor unseren Augen.

Deshalb bringen wir Werner zur örtlichen Krankenstation. Dr. Walker, der am Nachmittag angekommen ist, untersucht ihn. Er ordnet die Überstellung in das Krankenhaus in Yellowknife an und klärt die Deckung der Kosten mit der Versicherung. Kurz nach Mitternacht kommt die Air-Ambulanz und bringt beide Werner ins Spital. Wir hoffen alle auf nichts Schlimmes und verschieben unseren Start auf unbestimmte Zeit.

Bereits am Vormittag ist Michael aus der Schweiz zu uns gestoßen. Er möchte sich uns anschließen. Wir lernen ihn als umgänglichen Menschen kennen, der viel über das Leben in der Wildnis und auf Trail weiß. Am Abend kommt er dann mit seiner ganzen Ausrüstung zu uns und schlägt sein Zelt auf.

Spät am Abend taucht ein Cree-Indianer auf, der uns unbedingt führen will. Wir sagen, daß wir keinen Führer brauchen, aber er bleibt die ganze Nacht, tanzt ums Feuer, raubt uns mit Bären- gebrüll den Schlaf und peinigt seinen Hund.

Mittwoch, 14. Juli 1993

Wir sind auf unserem Zeltplatz nicht allein. Es ist auch ein südkanadisches Pärchen hier, das sich mit Fischen für den Winter eindecken will. Jeden Tag fahren sie am Morgen zum Fischen weg und kommen am Abend mit reicher Beute zurück.

Bis gestern abend habe ich mit Sprit gekocht, um die Leistungs- fähigkeit des Kochers zu testen. Ab heute wird auf offenes Feuer umgestellt. Am Mackenzie-Ufer gibt es Treibholz in Hülle und Fülle, und wir brauchen das Feuer nie ausgehen zu lassen. An der Lage der Holzstücke kann man ersehen, wie hoch im Frühjahr beim Icerun das Hochwasser steht.

Seit wir hier sind, ist es fast durchgehend diesig und bewölkt. Nur ein paarmal kommt kurz die Sonne durch, und man kann das gegenüberliegende Ufer mit den Bergen im Hintergrund sehen. Zwischendurch fallen ein paar Regentropfen. Es regnet aber nie länger als zehn Minuten. Ein beständig wehender leichter Nordwind hält die Temperatur auf 8-10°C.

Willi, Walter und Peter gehen ins Dorf zu den Mounties, um den Start, der ja gestern sein hätte sollen, abzusagen. Ich kümmere mich inzwischen um Ordnung auf dem Campground. Wir haben einen Grillrost gefunden, der gute Dienste als Kochebene im Feuer tut. Die Tisch-Bank-Kombination stelle ich in die Nähe des Feuers. Die offene Hütte dient uns als Speis, Küche und Unterstand.

Von Stunde zu Stunde klart es mehr auf, und wir freuen uns schon auf den Flug über den Mackenzie hinüber und in die Rocky Mountains hinein. Der River ist an dieser Stelle etwa drei km breit. Im Fluß liegen einige künstliche Inseln, auf denen Ölförderanlagen stehen.

Wir verabreden immer wieder eine fixe Zeit für einen telefoni- schen Kontakt mit Werner U. in Yellowknife. Er war die ganze Nacht bei Werner S. am Krankenbett. Jetzt wartet er auf die verschiedenen Befunde. Morgen könnte sich schon einiges klären. Vielleicht kommen die beiden dann zurück, und es kann los gehen.

Am Abend betätigen wir uns als Bootsstopper und verhandeln mit einem Einheimischen über eine Besichtigungstour zum Ende des Canol Heritage Trails. Er macht es für 25 Bucks. In 13 Minuten sind wir drüben, und in der Sonnenuntergangsstimmung geht es um etwa 11 Uhr zurück.

Donnerstag, 15. Juli 1993

Während ich noch in den Federn liege, gehen Peter und Willi schon telefonieren. Wir machen das immer im Northern-Büro, wo alle so hilfsbereit sind. John hat uns sogar angeboten, unser übriges Gepäck in seinem Haus zu deponieren. So ist auch diese Frage bereits geklärt. Peter und Willi kommen nicht mehr zurück, und wir schwanken zwischen Hoffen und Bangen. Dann kommen sie auf einmal alle vier! Die beiden Werner sind auch wieder da, und außer einem hinkenden Gang scheint Werner S. nicht mehr viel zu fehlen.

Sie haben am Flugplatz gleich den Flug zu den Godlin Lakes bestellt, und um 18.00 Uhr soll's los gehen. Michael organisiert ein Boot, das uns am 30. Juli am Ende des Trails abholen soll. Dann verabschieden wir uns von den Mounties, bringen das über- flüssige Gepäck zu John ins Büro und warten auf das Auto der Northwright-Air, das uns abholen soll.

Alles klappt wie geschmiert, und Punkt 18.00 Uhr heben wir ab. Wir sitzen in einer kleinen zweimotorigen Maschine, und Warren, der Pilot, fliegt ziemlich genau den Trail ab. So können wir aus der Luft gut sehen, was uns erwartet. Eine gute Stunde später sind wir an den Godlin Lakes. Dort landen wir holpernd auf dem Trail, der hier als Start- und Landebahn dient.

Wir gehen am ersten der Godlin Lakes vorbei und machen am zweiten Halt. Nach dem Aufbauen der Zelte - ein ziemliches Stück von der Kochstelle entfernt - beginne ich mit dem Kochen, und Michael geht mit seinem Bogen auf die Jagd. Und tatsächlich kommt er bald mit einem Rebhuhn zurück. Dieses wandert umgehend in den Topf, und jeder erhält einen Koster. Mehr ist nicht dran an so einem Vogel.

Der Versuch, die Rucksäcke aufzuhängen, gestaltet sich zu einem kabarettreifen Fiasko. Denn die Bäume sind nicht höher als etwa 6-7 Meter und dünn wie Stangger. Wir versuchen es trotzdem und befestigen ein Seil an zwei Bäumen etwa einen Meter unterhalb des Gipfels. Das Seil wird gespannt, und daran sollen dann die Rucksäcke aufgehängt werden. Als wir die Rucksäcke mit einem zweiten Seil nach oben ziehen wollen, neigen sich die beiden Bäumchen einander immer mehr zu, und die Rucksäcke bleiben am Boden.

Freitag, 16. Juli 1993

Verspätetes Aufstehen und erstmaliges Lagerabbrechen sind die Gründe, warum wir erst um Mittag wegkommen. Das Zeltabbauen und Rucksackpacken dauert in den ersten Tagen einfach länger, wird aber dann zur immer schneller ablaufenden Routine.

Zum Frühstück gibt es wie immer die berühmten und beliebten Bannocks, das selbstgebratene kanadische Wildnisbrot. Mit so einem Stück im Bauch kann man problemlos drei Stunden marschieren, ohne nachfuttern zu müssen.

Wir gehen dem Godlin River entlang durch das bewaldete Flußtal, bevor wir - heute etwas früher als gestern - unser Lager aufschlagen. Die täglichen Gehleistungen sind noch nicht besonders gut, aber erstens haben wir einen Patienten zu berücksichtigen, und zweitens wollen wir uns eher langsam an größere Leistungen gewöhnen.

Wie immer verhalten wir uns bärensicher, das heißt:

* Beim Gehen Geräusche machen (Vorbild: Doc Werners Glocke)
* Schlafplatz vom Kochplatz 100 m entfernt
* Rucksäcke und alle Vorräte bleiben beim Kochplatz

Unser heutiges Menü besteht aus Erbsensuppe und Polenta mit Käse.

Samstag, 17. Juli 1993

Heute pendeln wir uns in einen normalen Tagesrhythmus ein. Um halb acht am Morgen ist Tagwache. Die Frühaufsteher machen Feuer und stellen Wasser auf. Nach und nach kriecht der Rest der Truppe aus den Zelten und gesellt sich dazu. Die letzten des Abends sind auch die letzten des Morgens - so auch der Küchenchef. Ich bin so ziemlich täglich an die drei Stunden mit Kochen beschäftigt, und bis die Bannocks gebraten sind, wird es meistens spät.

Um etwa halb zehn Uhr vormittags ist Aufbruch, und wir gehen im Stundentakt: Eine volle Stunde gehen, zehn Minuten Pause, wieder eine volle Stunde gehen und so weiter. Nach drei Stunden machen wir eine größere Rast und trinken Tee oder eine Diätsuppe. So schaffen wir dann täglich zwischen fünf und sieben Stunden reine Gehzeit, was einer durchschnittlichen Kilometerleistung von etwa 20 km entspricht.

Werner S. geht voran, damit er das für ihn beste Tempo angeben kann. Dann folgt Michael, der sich anhand der Karte orientiert. Hinter Michael ist meistens Willi anzutreffen. Werner U. hat sich die Mitte als bärensichersten Platz ausgesucht. Dahinter folgen Walter, ich und Peter. Wir sind immer noch im Tal des Godlin River. Plötzlich ruft Werner von vorn: "Ein Bär, ein Bär!" Alle bleiben stehen, und die hinten Anstehenden drängen vor, um einen Blick auf den Grizzly werfen zu können. Bevor wir ihn ordentlich im Kamerasucher haben, zeigt er uns sein Hinterteil und haut ab. Die Geschwindigkeit, mit der er verduftet, beeindruckt uns sehr. Wir können über eine weite Strecke seine Pfotenabdrücke auf dem Boden sehen. Vor allem die Krallen hinterlassen beängstigende Kratzer im festen Untergrund.

Schon seit langem ist uns bewußt, daß wir im Bärengebiet sind, denn von Zeit zu Zeit sind wir immer wieder neben Elch- und Wolflosung auch auf das Endprodukt der Bärennahrung gestoßen. Der Trail scheint überhaupt ein beliebter Wildwechsel zu sein, und wir sind froh darüber. Denn würde nicht von Zeit zu Zeit ein mächtiger Bär oder ein Elchbulle durch das Gebüsch und Geäst brechen, müßten wir uns streckenweise den Weg selbst bahnen.

Nach einer nicht allzu schwierigen Flußüberquerung machen wir Halt und bereiten das Lager für die Nacht vor. Nach Tomatensuppe und Spaghetti Carbonara sind alle satt und zufrieden. Wir haben nämlich erstmals eine ordentliche Kilometerleistung erreicht.

Das Wetter ist nicht mehr so freundlich wie in den letzten Tagen, und wir haben untertags öfters den Regenschutz gebraucht.

Sonntag, 18. Juli 1993

Der Tag beginnt mit einem Regenguß. Als Ausgleich dazu gibt es aber besonders gut gelungene Bannocks. Wir sind froh, daß wir die alte verrostete Eisenpfanne mitgenommen haben, die uns der verrückte Cree in Norman Wells zum Kochplatz gebracht hat. Peter hat sie ausgeglüht, und jetzt tut sie uns beste Dienste. Auch der mitgenommene Grillrost ist sehr praktisch, weil es ohne ihn unmöglich wäre, zwei Töpfe nebeneinander über das Feuer zu stellen. Nur auf eines werden wir das nächste Mal achten: Der Rost sollte zusammenklappbar sein. Als ganzes stört er Peter doch manchmal beim Gehen, wenn es im Gebüsch eng wird.

Wir verlassen heute nach zwei Flußüberquerungen das Tal des Godlin River und wechseln über einen breiten Rücken hinüber ins Tal des Twitya River. Der bisher eher lockere Wald wird üppiger, und wir sehen Elchspuren ohne Zahl. Von Zeit zu Zeit stoßen wir auf Abwurfstangen und Fegespuren an den jungen Bäumchen.

Wir campieren heute direkt am Trail, weil wir auf dem ab- schüssigen Gelände sonat nichts Ebenes finden können. Am Lager- feuer gibt es eine große Trockenaktion, denn es hat den ganzen Tag über in den üblichen Etappen geregnet. So geht es auch die Nacht durch.

Montag, 19. Juli 1993

Nach feuchter Nacht kommt auch ein feuchter Morgen. Statt Bannocks gibt es heute frische Omelettes zum Frühstück. Sie schmecken etwas salzig, ungewohnt für uns. Den Twitya River können wir bereits sehen, und wir hoffen, ihn bald zu erreichen. Aber es zieht sich.

Als wir dann an seinem Ufer stehen, denkt sich jeder sein Teil. Er ist etwa mit dem Inn vergleichbar und hat an dieser Stelle eine beachtliche Strömung über eine Breite von gut 20 Metern. Wir überlegen nicht lange und entscheiden uns für schwimmende Überquerung mit Seilhilfe. Michael schwimmt als erster hinüber, und es treibt ihn stark ab. Da wissen wir schon, was uns erwartet. Nach und nach werden alle mit Brustgeschirr ans Seil gebunden und hinübergezogen. Das gleiche passiert mit der kompletten Ausrüstung. Wir müssen nur alles in die einzigen zwei wasserdichten Säcke, die wir haben, umpacken. Jeder erwischt viel Wasser, aber wenig Luft. Unser Gottvertrauen ist unerschütter- lich, und so ist nach drei Stunden alles am anderen Ufer. Ich hatte als Letzter noch einige Kraft aufzubieten, um das Seil auf meine Seite zu ziehen und eine Sicherung aufzubauen. Die letzte Sicherung mußte ich dann mit zwei Steinen durchschlagen und zurücklassen.

Wir bleiben direkt am Ufer des Twitya und schlafen nach dem Essen bald erschöpft ein.

Dienstag, 20. Juli 1993

Die Twitya-Überquerung steckt uns noch in den Knochen, aber der Trail ruft. Und so machen wir uns auf, um weiterzukommen. Wir wollen heute einmal sehen, was wir leisten können.

Es ist etwas kühler geworden, und von Zeit zu Zeit regnet es auch wieder. Zelte, Schlafsäcke, Rucksäcke und Kleider werden immer schwerer. Die nicht ganz neuen Schuhe lassen Wasser durch, und manche haben mit Waschfrauenhaut auf den Fußsohlen zu kämpfen. Untertags bessert sich das Wetter. Wir kommen in eine kühlere Gegend, und das hat einen großen Vorteil: weniger Mücken.

Am Trout Creek schlagen wir neben einer zusammengefallenen Hütte unser Lager auf. Zum Abendessen gibt es Grießnockerlsuppe und Curryreis. In der Hüttenruine finden wir einen Yukonofen. Wir schleppen ihn aus den Trümmern ins Freie und heizen ein. Endlich können wir wieder unsere Sachen trocknen.

Da stellen wir plötzlich fest, daß uns aus etwa 100 m Abstand ein stattlicher Elchbulle beobachtet. Wir sind begeistert von dieser Größe und Majestät. Michael geht ihm mit der Kamera nach, um ein schönes Bild für Walter zu machen. Das stört den Elch nicht besonders, und er zieht nur langsam weiter.

Manchmal zeigt sich der blaue Himmel, und wir hoffen auf einen warmen morgigen Tag.

Mittwoch, 21. Juli 1993

Gleich am Morgen, sozusagen zum Aufwärmen, durchwaten wir den Trout Creek. Aber wenn man am anderen Ufer trockene Schuhe anziehen kann, ist das ja kein Problem.

Nach einem Paßübergang fällt die 100 km-Marke. Insgesamt marschieren wir heute volle sieben Stunden, und wir sind stolz darauf. Wir haben doch schon einiges geschafft. Was wir jetzt brauchen, sind eine oder zwei Tagesetappen mit wenig Hinder- nissen, sodaß wir gut weiterkommen und Kilometer machen können.

An der Waldgrenze auf etwa 1400 m zelten wir. Über uns die Tundra, wo zum Teil noch Schnee liegt, unter uns das bewaldete Flußtal des Carcajou River. Die Landschaft hinterläßt ganz besondere Eindrücke. Den Carcajou werden wir morgen überqueren.

Am Paß haben wir das erste Caribou gesichtet. Diese weniger bewaldete freie Gegend scheint den Caribous besser zu behagen als die dicht bewachsenen Flußtäler. Michael wollte gleich zu Pfeil und Bogen greifen, um uns einen Cariboubraten zu besorgen, aber wir hielten ihn zurück. Wir hätten ja nur einen minimalen Teil der Fleischmenge verwenden oder mittragen können.

Donnerstag, 22. Juli 1993

Die Strapazen machen sich langsam bei jedem bemerkbar. Wir sind schon ein ziemlich maroder Haufen. Walter, Willi und Peter haben Probleme mit den Knien. Werner U. uns ich haben es an den Fußsohlen (Waschfrauenhaut). Werner S. hat Blutergüsse an den Unterschenkeln (kommt von der Blutverdünnung). Nur unserem Jüngsten und Sportlichsten, Michael, fehlt nichts.

Wir überqueren den Carcajou und folgen ihm bis zur Mündung des Andy Creek. Das Tagespensum ist geschafft, jeder scheint es körperlich durchstehen zu können. Vor Überraschungen kann man aber trotzdem nie sicher sein. Nur sollte man in der Wildnis nicht an mögliche Probleme denken, denn das beeinflußt das Gemüt.

Freitag, 23.Juli 1993

Heute geht's über ein Hochplateau zum Little Keele River. Normalerweise gibt es hier kein Wasser. Uns zeigt sich die Gegend aber von einer sehr feuchten Seite. Es regnet, es ist sehr kühl, und ein frischer Wind tut das seine dazu, daß sich niemand wohl fühlen kann. Der Aufstieg nimmt uns ziemlich her, und auf der Anhöhe rasten wir in einer verfallenden Bauhütte. Mit dem Benzinkocher wird eine heiße Diätsuppe gekocht, und das hilft. Jetzt haben wir wieder Energie für den Abstieg.

Bei der nächsten Rast halten wir Konferenz und beschließen, uns mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Wir waren immerhin acht Tage in der Wildnis unterwegs und haben 160 km geschafft. Die Ein- drücke und Erfahrungen sind durch nichts zu ersetzen. Nur wer so etwas gemacht hat, hat sich selbst bis zum Limit gefordert.

Michael bereitet die roten Leuchtraketen vor, und als das nächste Flugzeug in Sicht kommt, läßt er zwei Raketen steigen. Der Pilot hat verstanden und vermutlich gefunkt, daß ein Hubschrauber kommen soll. So ist es dann auch. Nach drei Stunden landet der kleine Helikopter der Canadian mit einem Mountie an Bord. Wir erklären, daß wir einen medizinischen Notfall haben (Peters Knie) und deshalb als Gruppe den Trail abbrechen müssen.

In zwei Partien werden wir ausgeflogen, und um Mitternacht sind wir wieder in Norman Wells. Der Flug ist ein unbeschreibliches Erlebnis. Urige Gebirgslandschaften, in das Gestein eingeschnit- tene Flüsse, Seen und lockere Wälder wechseln sich ab. Dann über- fliegen wir das weitläufige Tal des Mackenzie River mit dem riesigen Fluß und den Schwemmsandinseln.

Die netten Leute von der Canadian bringen uns noch zum Camping- platz, und dann wird erst einmal groß aufgekocht. Jeder hat einen Riesenhunger, und auf die Vorräte brauchen wir keine Rücksicht mehr zu nehmen. Es gibt eine Doppelportion Spaghetti mit scharfer Tomatensauce. Erst um etwa drei Uhr - zur dunkelsten Zeit - gehen wir schlafen.

Samstag, 24. Juli 1993

Um etwa zehn Uhr vormittags kriechen wir aus den Zelten, und können es kaum glauben: Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, und es ist im Zelt schon zu warm zum Schlafen. Das ist nach zahlreichen Regentagen in der Wildnis ein unheimlicher Genuß! Nach einer Abwasch-Orgie und dem Auslegen der Kleidung und Ausrüstung zum Trocknen gibt es ein frisch eingekauftes Frühstück mit Müsli, Wurst und Käse. Sogar ein kanadisches Brot - in bekannt weicher Qualität - leisten wir uns.

Um die Mittagszeit holen wir unser bei John deponiertes Gepäck ab, und dann gehen Peter und ich zur Northwright Air, um uns nach einem See zu erkundigen. Wir entscheiden uns für den Kelly Lake, und vereinbaren für den Flug inclusive Kanu 1.500 Can.$.

Um 19.30 Uhr werden wir am Camp abgeholt, und so heißt es Abschied nehmen von unserem Freund Michael, denn er fliegt morgen retour. Die Erlebnisse auf dem Trail haben uns doch ziemlich miteinander verbunden, und es fällt uns offensichtlich schwer, uns zu trennen. Aber der vereinbarte Besuch von Michael in Imst tröstet uns. Michael überläßt uns noch seine Angelrute, damit wir immer im Duo fischen können.

Am Landesteg der Northwright Air warten wir noch eine schöne Weile, bis die Twin Otter kommt und uns mitsamt dem Kanu aufnimmt. Aber wir sind ja im Norden, und da spielen Tageszeiten keine so wesentliche Rolle. Und so starten wir erst gegen 11 Uhr am Abend. Bald landen wir auf dem Kelly Lake, und am Westufer in einer leichten Bucht schlagen wir das Lager auf. Es ist alles da, was das Herz begehrt: sauberes Wasser, ein Boot, ein Kiesstrand, schönes Wetter und viel Holz. Die Mückenplage hält sich in Grenzen, weil doch meistens ein leichtes Lüftchen weht. Ob das Fischangebot auch gut ist, werden wir gleich testen.

Während ich koche, versuchen Werner & Werner ihr Glück draußen auf dem See. Sie kommen mit leeren Händen spät zurück.

Sonntag, 25. Juli 1993

Um 4.00 Uhr am Morgen fahren Walter und ich auf den See hinaus. Wir wollen näher an das jenseitige Ufer heran und dort die Angeln auswerfen. Aber außer einem kräftigen Biß mit sofortigem Abriß rührt sich nichts.

Am Vormittag gibt es in der nächsten Bucht ein kühles Bad mit Ganzkörperreinigung, und anschließend fischt Peter vom Ufer aus. Es dauert nicht lange, da erschallt sein Ruf: "Fisch, Fisch!"

Sofort muß ich hinlaufen und ihm beim Landen helfen. Denn wir haben ja keinen Catcher. Und weil der Fisch ziemlich stark ist, hat Peter große Angst vor einem Bruch des dünnen Silks. Es bleibt nichts anderes übrig, ich muß ins Wasser und den Fisch ans Ufer werfen. Nach drei Erfolgen - es sind Hechte - gibt Peter die Rute weiter. Bis zum Abend haben wir es auf sieben Stück gebracht, und unsere Bäuche frohlocken bereits. Die Hilfe beim Landen hat ihre Tücken, und kaum einer bleibt trocken. Werner U. und Walter nahmen bei dieser Gelegenheit ein Vollbad in kompletter Adjustierung. Das größte Exemplar unserer Beute wird einstimmig mir zugeschrieben.

Die Filets von drei Hechten werden zu einem Fischtopf verar- beitet, der ja seit der Norwegenreise einen legendären Ruf genießt. Einen weiteren Fisch braten wir in Folie, nach Peters Dachdeckermethode eingepackt. Da bleibt nur noch zu sagen: Hechte schmecken vorzüglich! In der Nacht geht ein schwerer Gewitterregen nieder, und der Sturm beutelt unsere Zelte ganz ordentlich. Aber sie sind in Ordnung, und alles, was draußen ist, ist routinemäßig regendicht verpackt. Bis auf Werner U.s Socken. Aber die sind dafür am Morgen perfekt gewaschen.

Montag, 26. Juli 1993

Heute lassen wir es ruhig und langsam angehen. Das Gewitter hat den Himmel gereinigt, und wir sitzen beim Frühstück wieder im Sonnenschein. Nachher geht jeder einer Beschäftigung nach. Baden, Körperpflege, Fischen, Bootfahren. Mehr ist nicht zu tun. Aber das, was man tun kann, bereitet viel Vergnügen.

Am Nachmittag brechen Willi und Peter zu Fuß auf, um zur nächstgelegenen Lodge zu gehen. Ich knete inzwischen einen Bannocksteig. Der wird heute schön gehen, weil ich ihn in die Sonne stellen kann. Vor dem Braten verfeinere ich ihn noch mit Mandelsplittern. Das dürfte sich doch ganz gut machen.

Peter und Willi haben die Lodge nicht erreicht, aber sie haben gesehen, daß etwas südlich von uns ein Waldbrand bekämpft wird. Daher kommt das Hubschraubergedröhne, das wir schon den ganzen Tag hören. Peter hat auch ein Beerenfeld entdeckt und bereits gekostet. Nur mitgebracht hat er nichts. Er verspricht uns eine Kostprobe für morgen.

Das Abendmenü für heute besteht aus Hecht in Folie und Paprika- reis. Anschließend gibt es wie jeden Tag jede Menge Tee, mit Whisky (Gibson's Finest) verlängert. Am Trail war der gewisse Schuß in den Tee bald Mangelware, und wir mußten uns an nicht verfeinerten Tee gewöhnen. Der beste Teekonsument bin ich selbst, mit dem Erfolg, daß ich jede Nacht aufstehen muß, um "nach dem Wetter zu sehen".

Es beginnt zu regnen, und wir stellen uns alle sechs unter das umgedrehte Kanu, das wir mit Holzpfählen aufgebockt haben. In dieser Situation genießen wir mit Humor noch ein paar Schlückchen des Weizenbrandes, und erst langsam stellt sich die Bettschwere ein.

Dienstag, 27. Juli 1993

Um zwei Uhr beim nächtlichen Austreten zeigt sich ein herrliches Morgenrot. Keine Spur mehr von Regen. Beim Frühstücken ist es schon wieder angenehm warm.

Peter und Werner S. paddeln zur Lodge, wo sie auf einen Kaffee eingeladen werden. Willi und Doc Werner versuchen sich im Fischen. Und tatsächlich haben beide Petri Heil. Nun ist es geschafft, jeder von uns hatte sein Fischerglück. Wir halten bei elf Hechten, und damit lassen wir's gut sein.

Selbstverständlich essen wir am Abend wieder Fisch. Diesmal in einer Suppe und die Filets scharf gewürzt und in der Pfanne gebraten. Dann sitzen wir noch lange am Feuer, trinken Tee, essen Zwiebelringe und im Feuer gebratene Kartoffeln. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der die auf dem Trail verlorenen Reserven wieder aufgefüllt werden. Jeder hat viel Hunger und guten Appetit. Peter holt noch seinen versprochenen Becher Beeren, und alle kosten die Früchte der kanadischen Wildnis. Im Abendrot beobachten wir den Entenstrich, dann gehen wir schlafen.

Mittwoch, 28. Juli 1993

Nach einem ausgiebigen Bannock-Frühstück warten wir auf die Twin Otter, die uns heute nach Norman Wells zurückbringen soll. Früher als erwartet kommt sie, und wir bauen schnell alles ab. Die Piloten haben Zeit und treiben uns nicht zur Eile. Das Feuer wird sehr gewissenhaft gelöscht, dann laden wir alles ein und setzen uns in die Maschine. Der Start gestaltet sich schwierig, weil Wind aufgekommen ist, und beim Wasserstart ist das alles andere als angenehm. Aber der Pilot ist ein Profi und meistert das Problem souverän.

In Norman Wells ist einiges zu erledigen. Die Rückflüge müssen bestätigt werden, was einige Telefonate vom Tourismusbüro aus erfordert. Die Canadian Helicopter muß noch bezahlt werden für das Abholen vom Trail. Unser Doc holt von der Krankenstation Glasröhrchen mit Stopsel und zapft jedem das in der Wildnis gesundete Blut ab - nicht alles, nur ein paar Tropfen.

Unser Camp am Ufer des Mackenzie River ist heute sehr windig. Man sieht den Mackenzie entlang Sandwolken ziehen, und auch die Luft am Ufer ist etwas sandig. Beim Einkaufen stürzen wir uns auf Obst, Gemüse und andere Leckereien. Nach einer guten Portion Spaghetti - diesmal mit Faschiertem, das erste Fleisch seit vielen Tagen - klingt der Abend mit Watten aus.

Donnerstag, 29. Juli 1993

Wir hatten geplant, einen Tag früher nach Edmonton zu fliegen, aber es ist leider nicht möglich. Alle Maschinen sind ausgebucht.

So bleibt es beim 31. Juli als Rückflugtermin. Es bleiben uns also noch zwei Tage in Norman Wells. Morgen soll das große Black Bear Jambooree stattfinden, ein großes Fest mit Musik und zahlreichen Attraktionen. Man sieht überall schon Leute aus der Umgebung, die wegen dem Fest nach Norman Wells kommen.

Bei unseren hilfsbereiten kanadischen Freunden bedanken wir uns mit einem Fläschchen Wein. Es gibt im Liquor Shop leider keinen österreichischen Wein, also nehmen wir einen deutschen. Nur bei den Mounties ist leider niemand anzutreffen, und so bleibt ein Fläschchen uns als Kostprobe.

Zum Abendessen läßt Werner S. als Dank für die - für uns selbstverständliche - Kameradschaft ein kleines Fläschchen Gibson's Finest springen, und das fördert den guten Huangert. Der Chauffeur von der Northwright Air bringt uns wie versprochen Autokennzeichen von den NWT vorbei. Diese haben die Form von Eisbären und sind schöne Erinnerungsstücke. Wir sehen, in dieser Gegend kann man sich wirklich auf jeden voll verlassen. Das zeichnet den kanadischen Norden aus.

Freitag, 30. Juli 1993

Heute ist Großreinigungstag. Jeder wäscht und schrubbt sich, daß er nur so glänzt. Haare werden gekämmt, Bärte gestutzt oder abrasiert, Hemden und Hosen werden gewaschen.

Ich muß noch einmal zum Tourismusbüro, weil mit der KLM für den Rückflug etwas noch nicht klar ist. Die freundliche Dame im Büro erledigt das für mich, und nach einiger Zeit ist alles o.k. Wir kommen also auch wieder heim.

Am Abend steigt das große Black Bear Jambooree. Leider regnet es, und daher spielt die Band im Boiler House, einem Lokal am Hauptplatz. Wir treffen hier viele nette Leute, auch unseren Freund John, seine Frau, die zweite Dame vim Northern-Büro und noch einige andere, die wir kennengelernt haben. Für uns wird es ein rauschendes Abschiedsfest, und die letzten Dollars klingeln in der Kasse des Lokals.

Samstag, 31. Juli 1993

Die Nacht wird durchgehend von besoffenen Indianern gestört. Sie grölen auf unserem Campingplatz herum, machen Feuer und saufen um die Wette. Nur ausgesprochene Tiefschläfer bekommen nichts davon mit. Wie vereinbart, werden wir vom Bruder des Northwright- Chauffeurs um 10.00 Uhr abgeholt. Der Mann vom Canadian-Schalter hat gesagt, wir sollen ja versuchen, früh zu kommen, damit er uns und unser Gepäck ordentlich einchecken kann.

Dann lümmeln wir am Flughafen herum oder spazieren durch die Gegend, um die Zeit bis zum Nachmittag totzuschlagen. Um 15.00 Uhr ist boarding, und dann geht's ab über Yellowknife nach Edmonton, wo wir abends ankommen.

Wir brauchen lange, um ein Hotel zu finden, das noch freie Zimmer hat, denn in der Stadt ist einiges los. Durch die Hilfe eines Taxlers gelingt es schließlich, und wir schlafen heute im Zentrum von Edmonton. Gegessen wird bei einem Chinesen, und nach einem Spaziergang der Hauptstraße entlang freuen wir uns auf das erste richtige Bett seit drei Wochen.

Sonntag, 1. August 1993

Abflug ist erst am Nachmittag, deshalb lassen wir uns am Morgen zum größten Einkaufszentrum Kanadas bringen. Bei Eingang 46 werden wir abgesetzt, und dann heißt es nur noch: Aufpassen, daß du dich nicht verirrst! Einige Mitbringsel für die Lieben zu Hause werden gekauft, zwischendurch gibt es viel zu sehen, zu essen oder zu trinken, und um 13.30 Uhr lassen wir uns zum Flugplatz bringen.

Montag, 2. August 1993

Der Abflug von Edmonton hatte sich um eine Stunde verzögert, aber mit Vollgas hat der Pilot die verlorene Zeit wieder gut gemacht, und wir landen pünktlich in Amsterdam.

Hier haben wir wieder einige Stunden Aufenthalt, und wir fahren mit der Bahn in die Stadt. Das europäische Bier schmeckt doch anders als das kanadische, stellen wir fest.

Am Abend geht der Tyrolean-Flug nach Innsbruck, und wir sehen zum ersten Mal wieder Tiroler Gesichter, hören Tiroler Mundart und essen Tiroler Speck mit Tiroler Brot.

In Innsbruck werden wir von einer heimatlichen Abordnung erwartet, die sich über unser müdes und abgezehrtes Aussehen entsetzt. Aber daran werden sie sich schon gewöhnen.

NACHWORT

Als wir uns zu dieser Reise entschlossen, hatte jeder ziemlich eigene Vorstellungen davon, wie es werden könnte. Manche dieser Vorstellungen waren wohl etwas entfernt von der Wirklichkeit, der wir uns dann stellen mußten. Die Wildnisromantik, die man sich zu Hause im geschützten Wohnbereich gerne ausmalt, wird hier im kanadischen Norden zu einem ständigen Ringen mit den Lebens- bedingungen, die die Natur uns aufzwingt.

An manches gewöhnt man sich schnell. So hat uns das kühle Klima nie viel ausgemacht. Denn zum einen waren wir durch entsprechende Ausrüstung darauf vorbereitet, zum anderen wird es ja sofort angenehm warm, wenn die Sonne scheint. Doch Idealbedingungen gibt es hier nicht. Entweder scheint die Sonne, es ist angenehm warm, aber die Mücken fressen dich auf. Oder es ist warm und windig, dann hast du vor den Mücken Ruhe. Aber der Wind treibt dich wieder an windgeschützte Plätze, und dort warten wieder die Mücken. Wenn es regnet, wirst du naß, doch die Mücken sind weg.

Zu diesen natürlichen Unannehmlichkeiten kommt auf dem Trail noch die totale Abgeschiedenheit von der Zivilisation. Du kannst weder irgendwo einkaufen, noch ladet eine Hütte zum Zukehren und Übernachten ein. Mehrmals haben wir am Feuer unsere nassen Sachen getrocknet, und wer mit Regenschutz weniger gut ausgerüstet war, der war einfach schlechter dran als der besser Ausgerüstete.

Gerade in Richtung Ausrüstung haben wir viel gelernt. Neben grundsätzlichen Dingen, die von guter Qualität sein müssen - Schuhe, Rucksack, Zelt - haben sich wasserdichte Beutel für Schlafsack, Lebensmittel und Kleidung bestens bewährt. Zum Kochen wäre ein zusammenklappbarer Rost von Vorteil, und wasserdichte Überwürfe für die Rucksäcke sind uns auch abgegangen.

Was die Ernährung betrifft, haben wir ziemlich gut ausgewählt. Nicht zu schwer, nicht zu viel, einfach und doch so vielseitig wie möglich. Nur die Kalkulation mit Jagd- oder Fischereibeute ging nicht auf. Denn entweder bleibt keine Zeit dafür, oder man ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Nahrung war keines- falls zu üppig, was unschwer an der Gewichtsabnahme bei jedem einzelnen festzustellen ist. Aber gerade auf diesen Nebeneffekt ist doch jeder stolz, denn unter anderen Umständen braucht man für eine derart radikale Gewichtskorrektur mindestens die dreifache Zeit.

Das Leben in einem fremden Land, noch dazu in der Wildnis, fördert ganz besonders den Zusammenhalt in der Gruppe und den kameradschaftlichen Umgang miteinander. Jeder ist auf jeden angewiesen, und das bindet. Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten werden immer unwichtiger, und das große Ziel wird immer wichtiger. Dieser Gemeinschaftsgeist war von allem Anfang an da, und das machte uns als Gruppe unheimlich stabil und belastbar. Es fielen keine bösen Worte, und wer einmal schlecht gelaunt war, behielt es für sich. Die Probe kam ja gleich am zweiten Tag, als Werner S. erkrankte. Selbstverständlich taten wir alles, um ihn bestens zu versorgen, und genauso selbstverständlich wurde der Start zum Trail verschoben, bis er wieder da war.

Alles in allem: Wir werden noch lange an diese Reise und an alle die einzelnen kleinen Erlebnisse zurückdenken. Und hätten wir dieses Unternehmen nicht gewagt, wir wären um viele schöne Erinnerungen und um viele Erfahrungen ärmer.